Die Chinesen
Samstag, 19. Januar 2008
„Und wieder einen Tag erfolgreich, sogar sehr erfolgreich hinter mich gebracht“. Stolz blickte er auf seinen makellos aufgeräumten Schreibtisch in einem geräumigen Büroraum. Er nahm seine lederne Tasche vom Boden und machte sich auf den Heimweg. Er war der letzte, der den riesigen Verwaltungskomplex verließ, der Parkplatz war leer, nur ein dunkler Porsche stand allein in der Mitte. Die Straßen waren frei, fast kein Auto fuhr um diese Uhrzeit noch in der Stadt herum.
Morgen würde wieder ein anstrengender Tag sein, denn die chinesischen Geschäftsleute würden da sein, um die Firma zu übernehmen. Eine Menge Arbeitsplätze standen auf dem Spiel, das war ihm aber relativ egal, er würde weiter beschäftigt werden, er war ja in der Verwaltung und er war ein guter, zuverlässiger Mitarbeiter. Er bog in eine Straße ein, in der ein Haus sauberer, gepflegter, als das andere war. Die Einfahrt war in das silbrige Licht des Mondes getaucht, das Garagentor öffnete sich automatisch. Wie würde er das Gespräch angehen? Was für Charaktere waren diese Chinesen? Würden sie zugänglich sein? Er runzelte die Stirn. Es ging um eine Menge Geld, das wusste er. Vielleicht würden sie ihn aber ja auch entlassen und eine Abfindung bezahlen? Im ersten Moment erfüllte ihn dieser Gedanke mit Freude, dann erstarrte er. So jung in Rente (er war 57)? Was sollte er daheim machen? Den ganzen Tag herumsitzen? Fernsehgucken? Er runzelte die Stirn. Nein, das würden sie nicht tun. Das Garagentor schloss sich wieder. Er drehte den Schlüssel im Schloss herum. „Wo warst du? Weißt du, wie spät es ist?“. Im Flur stand eine Frau im Nachthemd, sie war dünn und hatte viele Falten, viel zu viele für ihr Alter. „Ja es ist heute etwas später geworden, Schatz. Du weißt doch, die Chinesen.“ Er lief an ihr vorbei, geradeaus in die Küche. „Was gibt’s zu essen?“. Die Frau starrte ihren Mann irritiert an. „Ich wärm dir was auf, ich habe schon gegessen.“ Sie öffnete den Kühlschrank langsam. Warum, warum machst du das noch alles mit? Sie schaltete den Herd ein. Es gab Spagetti mit einer Spinatsoße. Der Mann verzog das Gesicht. „Da arbeitet man den ganzen Tag und bekommt dann abends nur so einen Fraß vorgelegt. Ich will Fleisch“ Sie verlor die Fassung, dieser Mann machte sie verrückt. Woher nahm er das Recht, Forderungen zu stellen, sie zu kritisieren, sie. „Dann esse nichts! Ich hätte jetzt nicht aufstehen und dir dein Essen machen müssen.“ „Ist ja schon gut, ich hätte es mir halt gewünscht.“ Eine peinliche Stille trat ein. Dann war das Mahl gerichtet. „Willst du Käse?“. Nervös kaute sie an einem Fingernagel. „Nein danke“. Wie er aß, wie er so viel in seinen Mund stopfte, wie er immer fetter wurde. Als er seinen vierten Teller gegessen hatte, blickte sie angewidert auf den Boden. „Ich gehe schlafen, muss morgen früh aufstehen, du weißt ja, die Chinesen.“ Er schlurfte langsam ins Schlafzimmer. Sie stützte sich mit ihren Armen auf den Tisch, eine Träne lief ihre Wangen runter. Jeden Abend, diese Tortur, jeden Abend. Wie konnte sie einmal so glücklich mit diesem Mann gewesen sein. Wie nur? Sie hatte das Gefühl, das er mit seiner Arbeit und nicht mit ihr verheiratet sei. Sie lebten nur noch neben und nicht mehr miteinander. Sie hatte wegen ihm vor Jahren die Stadt verlassen. um hierher zu ziehen, wo er eine neue Karriere starten wollte. Sie hatte ihr Leben für ihn aufgegeben. Doch Freunde hatte sie hier nie gefunden, sie war einsam und seit ihr Mann erst nach Mitternacht heimkam, war sie depressiv. Zwischen ihnen war nichts mehr, keine Zärtlichkeiten keine Liebe. Wie konnte sie nur so Leben, sie verwelkte wie eine Blume, der kein Wasser gegeben wird und langsam verdorrt. Sie atmete tief durch und stand auf, um auch schlafen zu gehen. Warum eigentlich? Was wartet morgen auf dich? Diese Gedanken hatte sie Tag ein Tag aus. Sie hatte das Gefühl, dass sie nicht mehr lebe, sondern nur noch funktioniere. Putzen, einkaufen, mit nichts anderem verbrachte sie ihren Tag. Kinder hatte sie keine, ihr Mann wollte nie welche. Jetzt war sie 58 und einsam, allein, im Stich gelassen. Als sie das Schlafzimmer betrat, vernahm sie schon das tiefe Schnarchen ihres Mannes. Sie stopfte sich Ohropax in die Ohren und schlief über vieles nachdenkend irgendwann ein. Aber sie wusste, dass sie es tun musste.
Ihr Wecker klingelte um sechs. Jetzt würde sie aufstehen, Kaffee kochen, ein Spiegelei braten und dann ihren Mann aufwecken, wie jeden Tag. Es war Routine, reinste Routine. Aber dieses Wort, ihre Liebe war Routine geworden. Wütend zerschlug sie das Ei über der Pfanne. Wie konnte es nur so weit kommen? „Gib mir mal Salz und Pfeffer, hast wieder mal zu lasch gewürzt.“ „Ich habe eine Frage an dich.“ „Stell sie ruhig, ich höre dir zu.“ Er blickte nicht von seiner Zeitung hoch. Die Aktienkurse standen günstig. „Wann hatten wir zwei das letzte mal einen glücklichen Moment? Erinnerst du dich noch?“ Sie blickte ihn fragend und bittend zu gleich an. Wenn sie noch ein bisschen steigen würde, dann wäre das das Jahreshoch, dann musste er verkaufen. „Schatz?“ Und dann stand einem neuen Wagen nichts im Wege. „ICH SPRECHE MIT DIR!“. Erschrocken blickte er seine Frau an. „Was schreist du denn so?“. Sie strich sich so fest durch das Haar, das es ihr fast weh tat. „Wann haben wir das letzte mal einen glücklichen Moment erlebt? Ich kann mich nämlich nicht erinnern“, sagte sie mit übertriebener Ruhe. „Nun ja, mir fallen viele ein.“ Er dachte angestrengt nach. „Als ich die von meiner letzten Beförderung erzählt habe, wie du damals gestrahlt hast.“ Er packte hastig seine Tasche und eilte zur Haustür. „Ich muss jetzt wirklich los, du weißt ja, die Chinesen.“ Er schlug die Tür zu. Die letzte Beförderung, na klar. Der dümmste Mensch auf Erden hätte damals erkannt, dass ihre Fröhlichkeit nur gespielt war, sie in Wirklichkeit aber gewusst hatte, dass das bedeutete, dass ihr Mann nun noch länger arbeiten müsse. Sie saß fünf Minuten einfach nur schweigend da. Noch so einen Tag wollte sich nicht erleben, es war jetzt langsam mal genug. Sie wusste, dass sie ihren Mann nicht mehr liebte, sie wollte hier endlich weg sein. Morgen war Samstag, er würde mit seinen Kumpels wieder zum Fischen fahren, saufen, und was wusste sie noch alles. Es war genug, sie konnte nicht mehr, sie wollte nicht mehr so leben, wie sie es jetzt tat. Sie wollte fliehen. Fliehen aus ihrem Leben, von ihrem Mann, von ihrem Alltag. Das war es doch alles nicht mehr wert. Er war es nicht mehr wert. Sie packte ihre Sachen, packte nur das nötigste ein, sie würde wegfahren, weit weg, dorthin, wo sie ein neues Leben anfangen könne, vielleicht noch mal mit einem anderen Mann glücklich werden könne. Sie setzte sich ins Auto und fuhr, fuhr einfach darauf los, nicht wissend, wo sie hinkommen werde.
Er blickte stolz auf den unterschriebenen Vertrag. Das war sein Verdienst, seiner ganz allein. Er lief zu seinem dunklen Porsche, der allein auf dem riesigen Parkplatz stand. Bald würde er einen eigenen Parkplatz haben, da war er sich sicher. Er sah seinen Wagen verträumt an. Bald bekommst du einen Bruder. Was hältst du von einem Jaguar. Na? Er lachte und fuhr los. Hoffentlich gibt es heute was gescheites zu essen. Wütend dachte er an seine Frau. Wie konnte man ihm nur so was wie gestern vorsetzen? Wie konnte man nur? Er fuhr in die Einfahrt. Er erschrak. Wo war der Wagen seiner Frau? Na klar. Sie war beim Einkaufen wieder mal an irgendein Schild gefahren und der Wagen war in der Werkstatt. Und von was wurde die Reparatur bezahlt? Natürlich von seinem Geld, von seinem hart verdienten Geld. Er schloss die Haustür auf. Alles war dunkel. Er roch kein Essen. „Schatz?“, er blickte unsicher umher. Dann wusste er was los war, es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Was hatte er nur getan, warum hatte er es so weit getrieben. Würde sie wieder zurückkommen? Er brauchte sie doch, das wusste er. Die Gedanken fuhren in seinem Kopf, wie ein Karussell. Dann wurde es auf einmal still in seinem Kopf. Und nur ein Gedanke beschäftigte ihn: die Chinesen.
Morgen würde wieder ein anstrengender Tag sein, denn die chinesischen Geschäftsleute würden da sein, um die Firma zu übernehmen. Eine Menge Arbeitsplätze standen auf dem Spiel, das war ihm aber relativ egal, er würde weiter beschäftigt werden, er war ja in der Verwaltung und er war ein guter, zuverlässiger Mitarbeiter. Er bog in eine Straße ein, in der ein Haus sauberer, gepflegter, als das andere war. Die Einfahrt war in das silbrige Licht des Mondes getaucht, das Garagentor öffnete sich automatisch. Wie würde er das Gespräch angehen? Was für Charaktere waren diese Chinesen? Würden sie zugänglich sein? Er runzelte die Stirn. Es ging um eine Menge Geld, das wusste er. Vielleicht würden sie ihn aber ja auch entlassen und eine Abfindung bezahlen? Im ersten Moment erfüllte ihn dieser Gedanke mit Freude, dann erstarrte er. So jung in Rente (er war 57)? Was sollte er daheim machen? Den ganzen Tag herumsitzen? Fernsehgucken? Er runzelte die Stirn. Nein, das würden sie nicht tun. Das Garagentor schloss sich wieder. Er drehte den Schlüssel im Schloss herum. „Wo warst du? Weißt du, wie spät es ist?“. Im Flur stand eine Frau im Nachthemd, sie war dünn und hatte viele Falten, viel zu viele für ihr Alter. „Ja es ist heute etwas später geworden, Schatz. Du weißt doch, die Chinesen.“ Er lief an ihr vorbei, geradeaus in die Küche. „Was gibt’s zu essen?“. Die Frau starrte ihren Mann irritiert an. „Ich wärm dir was auf, ich habe schon gegessen.“ Sie öffnete den Kühlschrank langsam. Warum, warum machst du das noch alles mit? Sie schaltete den Herd ein. Es gab Spagetti mit einer Spinatsoße. Der Mann verzog das Gesicht. „Da arbeitet man den ganzen Tag und bekommt dann abends nur so einen Fraß vorgelegt. Ich will Fleisch“ Sie verlor die Fassung, dieser Mann machte sie verrückt. Woher nahm er das Recht, Forderungen zu stellen, sie zu kritisieren, sie. „Dann esse nichts! Ich hätte jetzt nicht aufstehen und dir dein Essen machen müssen.“ „Ist ja schon gut, ich hätte es mir halt gewünscht.“ Eine peinliche Stille trat ein. Dann war das Mahl gerichtet. „Willst du Käse?“. Nervös kaute sie an einem Fingernagel. „Nein danke“. Wie er aß, wie er so viel in seinen Mund stopfte, wie er immer fetter wurde. Als er seinen vierten Teller gegessen hatte, blickte sie angewidert auf den Boden. „Ich gehe schlafen, muss morgen früh aufstehen, du weißt ja, die Chinesen.“ Er schlurfte langsam ins Schlafzimmer. Sie stützte sich mit ihren Armen auf den Tisch, eine Träne lief ihre Wangen runter. Jeden Abend, diese Tortur, jeden Abend. Wie konnte sie einmal so glücklich mit diesem Mann gewesen sein. Wie nur? Sie hatte das Gefühl, das er mit seiner Arbeit und nicht mit ihr verheiratet sei. Sie lebten nur noch neben und nicht mehr miteinander. Sie hatte wegen ihm vor Jahren die Stadt verlassen. um hierher zu ziehen, wo er eine neue Karriere starten wollte. Sie hatte ihr Leben für ihn aufgegeben. Doch Freunde hatte sie hier nie gefunden, sie war einsam und seit ihr Mann erst nach Mitternacht heimkam, war sie depressiv. Zwischen ihnen war nichts mehr, keine Zärtlichkeiten keine Liebe. Wie konnte sie nur so Leben, sie verwelkte wie eine Blume, der kein Wasser gegeben wird und langsam verdorrt. Sie atmete tief durch und stand auf, um auch schlafen zu gehen. Warum eigentlich? Was wartet morgen auf dich? Diese Gedanken hatte sie Tag ein Tag aus. Sie hatte das Gefühl, dass sie nicht mehr lebe, sondern nur noch funktioniere. Putzen, einkaufen, mit nichts anderem verbrachte sie ihren Tag. Kinder hatte sie keine, ihr Mann wollte nie welche. Jetzt war sie 58 und einsam, allein, im Stich gelassen. Als sie das Schlafzimmer betrat, vernahm sie schon das tiefe Schnarchen ihres Mannes. Sie stopfte sich Ohropax in die Ohren und schlief über vieles nachdenkend irgendwann ein. Aber sie wusste, dass sie es tun musste.
Ihr Wecker klingelte um sechs. Jetzt würde sie aufstehen, Kaffee kochen, ein Spiegelei braten und dann ihren Mann aufwecken, wie jeden Tag. Es war Routine, reinste Routine. Aber dieses Wort, ihre Liebe war Routine geworden. Wütend zerschlug sie das Ei über der Pfanne. Wie konnte es nur so weit kommen? „Gib mir mal Salz und Pfeffer, hast wieder mal zu lasch gewürzt.“ „Ich habe eine Frage an dich.“ „Stell sie ruhig, ich höre dir zu.“ Er blickte nicht von seiner Zeitung hoch. Die Aktienkurse standen günstig. „Wann hatten wir zwei das letzte mal einen glücklichen Moment? Erinnerst du dich noch?“ Sie blickte ihn fragend und bittend zu gleich an. Wenn sie noch ein bisschen steigen würde, dann wäre das das Jahreshoch, dann musste er verkaufen. „Schatz?“ Und dann stand einem neuen Wagen nichts im Wege. „ICH SPRECHE MIT DIR!“. Erschrocken blickte er seine Frau an. „Was schreist du denn so?“. Sie strich sich so fest durch das Haar, das es ihr fast weh tat. „Wann haben wir das letzte mal einen glücklichen Moment erlebt? Ich kann mich nämlich nicht erinnern“, sagte sie mit übertriebener Ruhe. „Nun ja, mir fallen viele ein.“ Er dachte angestrengt nach. „Als ich die von meiner letzten Beförderung erzählt habe, wie du damals gestrahlt hast.“ Er packte hastig seine Tasche und eilte zur Haustür. „Ich muss jetzt wirklich los, du weißt ja, die Chinesen.“ Er schlug die Tür zu. Die letzte Beförderung, na klar. Der dümmste Mensch auf Erden hätte damals erkannt, dass ihre Fröhlichkeit nur gespielt war, sie in Wirklichkeit aber gewusst hatte, dass das bedeutete, dass ihr Mann nun noch länger arbeiten müsse. Sie saß fünf Minuten einfach nur schweigend da. Noch so einen Tag wollte sich nicht erleben, es war jetzt langsam mal genug. Sie wusste, dass sie ihren Mann nicht mehr liebte, sie wollte hier endlich weg sein. Morgen war Samstag, er würde mit seinen Kumpels wieder zum Fischen fahren, saufen, und was wusste sie noch alles. Es war genug, sie konnte nicht mehr, sie wollte nicht mehr so leben, wie sie es jetzt tat. Sie wollte fliehen. Fliehen aus ihrem Leben, von ihrem Mann, von ihrem Alltag. Das war es doch alles nicht mehr wert. Er war es nicht mehr wert. Sie packte ihre Sachen, packte nur das nötigste ein, sie würde wegfahren, weit weg, dorthin, wo sie ein neues Leben anfangen könne, vielleicht noch mal mit einem anderen Mann glücklich werden könne. Sie setzte sich ins Auto und fuhr, fuhr einfach darauf los, nicht wissend, wo sie hinkommen werde.
Er blickte stolz auf den unterschriebenen Vertrag. Das war sein Verdienst, seiner ganz allein. Er lief zu seinem dunklen Porsche, der allein auf dem riesigen Parkplatz stand. Bald würde er einen eigenen Parkplatz haben, da war er sich sicher. Er sah seinen Wagen verträumt an. Bald bekommst du einen Bruder. Was hältst du von einem Jaguar. Na? Er lachte und fuhr los. Hoffentlich gibt es heute was gescheites zu essen. Wütend dachte er an seine Frau. Wie konnte man ihm nur so was wie gestern vorsetzen? Wie konnte man nur? Er fuhr in die Einfahrt. Er erschrak. Wo war der Wagen seiner Frau? Na klar. Sie war beim Einkaufen wieder mal an irgendein Schild gefahren und der Wagen war in der Werkstatt. Und von was wurde die Reparatur bezahlt? Natürlich von seinem Geld, von seinem hart verdienten Geld. Er schloss die Haustür auf. Alles war dunkel. Er roch kein Essen. „Schatz?“, er blickte unsicher umher. Dann wusste er was los war, es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Was hatte er nur getan, warum hatte er es so weit getrieben. Würde sie wieder zurückkommen? Er brauchte sie doch, das wusste er. Die Gedanken fuhren in seinem Kopf, wie ein Karussell. Dann wurde es auf einmal still in seinem Kopf. Und nur ein Gedanke beschäftigte ihn: die Chinesen.